"Dieses Projekt ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes"

Job-Porträt: Die Projektleiterinnen Helen Duttenhöfer und Yvonne Thönes über das Zukunftsmodell "Greensite"

Mit „Greensite“ entsteht in Mannheim ein Büroensemble, das neue Maßstäbe im nachhaltigen Bauen setzt. Innovative Technik und Konstruktion formen sich mit natürlichen Faktoren und Baukultur zu einem zukunftsweisenden Modellprojekt. Im Interview erklären Helen Duttenhöfer und Yvonne Thönes die Herausforderung – und was Eidechsen damit zu tun haben. 

Helen, Du hast 2022 die Leitung des Greensite-Projekts übernommen. Seit wann bist Du im Mannheimer Werkstadt Fischer Architekten-Team?

Ich bin im September 2015 als Praktikantin eingestiegen. Danach habe ich als Werkstudentin gearbeitet und bin nach Abschluss meines Masters of Science seit Mitte 2018 fest angestellt. Mir hat gut gefallen, dass ich von Beginn an bei sehr spannenden Projekten mitarbeiten konnte. Zunächst habe ich Machbarkeitsstudien und verschiedene Wettbewerbe erarbeitet. Danach begann 2019 die Konzeption und Realisierung des Wohnungsbauprojekts C3.2 in der Heidelberger Bahnstadt. Im Anschluss wurde mir die „Greensite“-Projektleitung übertragen.

Was macht das Projekt "Greensite" so außergewöhnlich?

Als es im Mai 2022 die ersten Gespräche mit den Bauherren und der Stadt Mannheim gab, war uns allen klar: Mit diesem Büro-Neubau besteht die Chance, ein Gebäudeensemble zu schaffen, das in Sachen Nachhaltigkeit neue Maßstäbe setzt. 

Der Projektname Greensite ist also programmatisch zu verstehen?

Ja, denn der Name ist einerseits eine Anspielung auf das benachbarte, von Werkstadt Fischer Architekten realisierte Quartier Eastsite, aber tatsächlich ist er auch programmatisch gemeint, denn ökologisch relevante Themen spielen eine zentrale Rolle. Der Name ist treffend, weil wir konstruktionstechnisch unter anderem mit einer neuartigen Bautechnologie den Effizienzhaus 40-Standard realisieren und mehrere grüne Baukultur-Faktoren miteinander verbinden.

Das Projekt entsteht in einem Stadtteil mit sehr heterogener Bebauung. Wie komplex war die Ausgangssituation?

Unsere erste Aufgabe war es, die vorhandene Bebauungsstruktur zu analysieren. Im direkten städtebaulichen Umfeld gibt es Einfamilienhäuser, Gewerbebauten und eine Kita, an die Brachfläche grenzt eine Straße an, aber auch offene Landschaft. Aufgrund dieser heterogenen Ausgangssituation war klar: Für eine behutsame Nachverdichtung wollen wir die vorhandene Körnung und ihre Rhythmisierung aufgreifen. Also haben wir ein Konzept entwickelt, das sich den vorhandenen Strukturen anpasst: Mit zwei Bürohäusern und einem Parkhaus, die sich rund um ein bestehendes Kaffeeproduktionsgebäude arrangieren, das wir als soziale Mitte integrieren.

„Greensite“ verkörpert die nächste Stufe des nachhaltigen Bauens mit Beton, weil wir massebasierte Energetik mit einer ressourcenoptimierten Betonkonstruktion kombinieren. Die neu entwickelten Textilsandwich-Fassaden stellen eine absolute Innovation dar.

Was macht das Projekt konstruktionstechnisch einzigartig?

Nach dem Suffizienz-Prinzip haben wir in allen Bereichen den Einsatz von Beton reduziert. Als ich hier bei Werkstadt Fischer Architekten begonnen habe, konnte ich ja erleben, mit welcher Expertise wir schon im benachbarten Geschäftsquartier Eastsite nachhaltiges Bauen mit Beton realisieren konnten. „Greensite“ verkörpert die nächste Stufe des nachhaltigen Bauens mit Beton, weil wir massebasierte Energetik mit einer ressourcenoptimierten Betonkonstruktion kombinieren. Die neu entwickelten Textilsandwich-Fassaden stellen eine absolute Innovation dar. Eine weitere Besonderheit ist eine außergewöhnlich effiziente Deckenkonstruktion durch Cobiax Hohlkörperdecken.

Welchen Vorteil bieten die Hohlkörperdecken?

Durch ihren Einsatz können wir große Mengen Beton einsparen. Eine spezielle Betonstruktur in X-Form sorgt für einzigartige Stabilität. Wie effizient diese Decken sind, zeigt diese Rechnung: Eine LKW-Ladung vormontierter Hohlkörpermodule ersetzt durchschnittlich sieben Ladungen von Betonmischfahrzeugen, eine Ladung unmontierter Cobiax-Komponenten sogar 25 Beton-Ladungen. Ressourcen sparen wir bei Greensite aber auch durch die Entscheidung, statt einer Tiefgarage ein Parkhaus zu errichten, dass in Zusammenarbeit mit einem Botanik-Spezialisten begrünt wird.

Helen, Du erwartest bald Nachwuchs und bist gerade in Mutterschutz gegangen. Herzlichen Glückwunsch zu diesem neuen Lebensabschnitt für Dich und Deine Familie! Die nächsten Monate wirst Du also nicht im Mannheimer Büro sein und hast die Projektleitung an Deine Kollegin Yvonne übergeben ...

Natürlich freue ich mich sehr über unseren kommenden Nachwuchs, gleichzeitig werde ich meine Kollegen, das Projekt Greensite und die Zusammenarbeit mit den Bauherren und Fachplanern vermissen. Die nächsten Entwicklungsschritte und den Start der Bauphase von Greensite hätte ich gerne weiterbegleitet. Es ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes.

Mir gefällt, dass das „Greensite“-Projekt in Sachen Nachhaltigkeit von Anfang bis Ende konsequent durchdacht ist.

Yvonne Thönes

Yvonne, Du hast von Helen nun die Projektleitung übernommen. Wie fühlt sich dieser Stabwechsel für dich an?

Da ich den Job bei Werkstadt Fischer Architekten angetreten bin mit dem Ziel, die Projektleitung von „Greensite“ zu übernehmen, war der Wechsel natürlich gut geplant und vorbereitet. Eine Projektübergabe bedeutet immer auch einen frühzeitigen Know-How-Transfer, Einbindung der neuen Projektleitung in alle Themen und Absprachen und rechtzeitige Übergabe der Verantwortlichkeit. Das haben wir mit Helen und unserem Mannheimer Büroleiter Dominik Wirtgen seit meinem Start bei Werkstadt Fischer Architekten gut gelöst.

Du hast an der TU Kaiserslautern Architektur studiert und dann einige Jahre in Mannheim bei einem großen Architekturbüro gearbeitet. Warum bist du zu Werkstadt Fischer Architekten gewechselt?

Nach über 10 Jahren in großen Büros in Stuttgart und Mannheim mit tollen Projekten habe ich vor allem neue Themen und innovative Ansätze gesucht. Ich habe schon länger beobachtet, dass bei Werkstadt Fischer Architekten sehr spannende Projekte realisiert werden, insbesondere mit neuen, ressourceneffizienten Sichtbetonfassaden. Pionierarbeit und ein Baustein für die Bauwende! Ich habe mich initiativ beworben und es war ein sehr angenehmes Bewerbungsgespräch. Als ich dann von der Projektleitung des „Greensite“-Projektes gehört habe, war ich sofort fasziniert und wusste: Das würde ich gerne begleiten.

Was reizt Dich am Greensite-Projekt?

Mir gefällt, dass es in Sachen Nachhaltigkeit von Anfang bis Ende konsequent durchdacht ist. Insgesamt sind es drei Faktoren, die das „Greensite“-Projekt im Kern ausmachen: Das Thema Energieeffizienz, innovative Technik und Konstruktion und das Thema Baukultur. Mit „Greensite“ erfüllen wir den neuesten Qualitätszertifizierungsstandard, den die Bundesregierung für nachhaltige Gebäude definiert hat. Wir erfüllen nach KfW auch den Energiestandard Effizienzhaus 40. Die Kennzahl 40 zeigt an, dass ein Gebäude nur 40 Prozent Primärenergie benötigt, verglichen mit einem Referenzgebäude. Zudem liegt der Transmissionswärmeverlust bei nur 55 Prozent des Referenzgebäudes. Der bauliche Wärmeschutz ist somit um 45 Prozent besser.

Welche natürlichen Faktoren kommen beim "Greensite"-Projekt zum Tragen?

Wir nutzen natürliche Faktoren, um das Mikroklima zu verbessern, wie eine intensive Baumbepflanzung. Wir haben eine aufwändige Habitatsanalyse durchgeführt, die als Beitrag zum Artenschutz in Zusammenarbeit mit einem Biologen unter anderem eine Umsiedlung von Eidechsen vorsieht. Wir haben verschiedene Strategien entwickelt, um Wasser zu sparen, setzen versickerungsfähige Materialien ein und wir stärken die Biodiversität – unter anderem durch begrünte Fassaden und begrünte grüne Dächer, die nach dem Schwammprinzip funktionieren.

Wie wird dieser Standard erreicht?

Die Energieeffizienz ergibt sich aus einem Energiekonzept mit einer Geothermie-Anlage und einem Wärmepumpen-System. Die Lüftung dient der Wärme- und Feuchtrückgewinnung und arbeitet nach einem passiven Wasserspeicher-Prinzip. Auf allen Dächern sind Photovoltaik-Systeme installiert – auch auf dem Parkhaus, um unter anderem die lokale Elektromobilität mitversorgen zu können. Darüber hinaus leisten wir den Nachweis einer Life Cycle Data Management-Analyse. Alle Prozesse, Maßnahmen und Verfahren verfolgen das Ziel, die Strukturierung, Erfassung, Verwaltung und Qualitätssicherung von Daten über den gesamten Lebenszyklus des Projekts.

Was sind nun die nächsten Steps bei der Realisierung des Projekts?

Wir sind gerade in einer sehr spannenden Phase. Wir warten aktuell auf die Baugenehmigung und beschäftigen uns schon mit den Folgeleistungsphasen. 2024 kann dann endlich die Umsetzung beginnen – und darauf freue ich mich schon sehr.

Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG

Fotos: Alexander Münch